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Scholz gibt den obersten Wirecard-Aufklärer
Es steht viel auf dem Spiel im Fall Wirecard. Hinter verschlossenen Türen stellen sich der Finanzminister und der Wirtschaftsminister im Finanzausschuss bohrenden Fragen der Abgeordneten - doch reicht das?
Berlin (dpa) - Wie konnte der Betrugsskandal bei Wirecard mit Tausenden von geprellten Anlegern passieren; haben staatliche Stellen versagt - und mauert die Bundesregierung bei der Aufklärung? Das sind die zentralen Fragen zur Rolle der Politik im Wirecard-Skandal.
Unter Druck steht vor allem Finanzminister Olaf Scholz, seines Zeichens möglicher SPD-Kanzlerkandidat. Der Fall Wirecard könnte das politische Berlin noch lange beschäftigen - denn ein Untersuchungsausschuss als "schärfstes Schwert" steht im Raum.
Mit Spannung wurde deswegen eine Sondersitzung des Finanzausschusses am Mittwoch erwartet. Viele Neuigkeiten gab es in der Sache aber nicht, die Opposition sieht weiter viele offene Fragen. Scholz präsentierte sich in der vierstündigen Befragung als oberster Aufklärer, wie Teilnehmer berichteten. Die Schuld habe er vor allem auf Wirtschaftsprüfer geschoben, die Jahresabschlüsse von Wirecard jahrelang nicht beanstandet hätten - und die nicht in seinen politischen Zuständigkeitsbereich fallen. Der Minister habe seinen Reformwillen bekräftigt und die Bedeutung eines Aktionsplans betont, den er bereits vorgelegt hat - auf dass sich Ähnliches nicht wiederhole.
Nach der Befragung - die viel länger war als gedacht - stellte sich Scholz am Abend vor die Kameras. Es sei eine sehr umfangreiche und intensive Diskussion gewesen. Es brauche nun sehr schnell Reformen, die Finanzaufsicht müsse härtere Instrumente bekommen, Wirtschaftsprüfer in Firmen müssten häufiger wechseln.
Dann gab der Finanzminister indirekt noch seinem Kabinettskollegen Peter Altmaier (CDU) etwas mit auf den Weg, den der Finanzausschuss nach Scholz ebenfalls befragte. Der Wirtschaftsminister ist zuständig für die Aufsicht der Wirtschaftsprüfer; die SPD wirft ihm vor, zu wenig zur Wirecard-Aufklärung beizutragen.
"Ich glaube, dass diejenigen falsch liegen, die glauben, dass man sich hier wegducken könnte und dass man hofft, dass das an einem vorbeigeht", sagte Scholz. "Wir müssen jetzt alle einen Beitrag dazu leisten, dass wir alles wissen, und daraus dann auch die notwendigen Reformen ableiten." Sprach's und erklärte, er freue sich auf seinen weiteren Urlaub.
Altmaier wiederum sieht keine Fehler bei der Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer. Er sagte nach seiner Befragung, die Abschlussprüferaufsichtsstelle habe, soweit er das nachvollziehen könne, sehr früh und zu jedem Zeitpunkt die notwendigen und die richtigen Schritte ergriffen. Die entsprechenden Fragen der Abgeordneten seien beantwortet worden. "Ich glaube nicht, dass es Unklarheiten in dieser Richtung noch in irgendeiner Weise gibt."
Aber reicht das der Opposition? "Der große Befreiungsschlag für Herrn Scholz und Herrn Altmaier war das heute ganz sicher nicht," sagte die Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus. Linke-Fraktionsvize Fabio De Masi sagte, die wirklich spannenden Fragen seien weiter unbeantwortet. Denn schon im Februar 2019 wurde Scholz darüber unterrichtet, dass die Finanzaufsicht Bafin den Fall Wirecard wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbot der Marktmanipulation untersuche. Und Staatssekretär Jörg Kukies traf sich bereits im November 2019 mit Wirecard-Chef Markus Braun zu einem persönlichen Gespräch - an Brauns Geburtstag. Hätten Scholz und Kukies energischer auf Aufklärung drängen sollen?
Gegen Braun und andere frühere Führungskräfte wurde inzwischen Haftbefehl ausgestellt. Der mittlerweile insolvente Zahlungsdienstleister hatte im Juni Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von einem "gewerbsmäßigen Bandenbetrug" aus, und zwar seit 2015. Mehr als drei Milliarden Euro könnten verloren sein.
Die Aktie stürzte ab, das traf viele Anleger des Dax-Konzerns, es dürfte Tausende Klagen geben. Der Skandal habe sich über Jahre unter dem Radar der Finanzaufsicht Bafin abgespielt, sagte der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. Die Bafin ist dem Finanzministerium unterstellt. "Alle Sicherungsnetze haben versagt, der Aufsichtsrat, die Wirtschaftsprüfer und die staatliche Aufsicht."
Als problematisch sehen viele Abgeordnete auch enge Beziehungen von Wirecard in die Politik an. Berater für das Unternehmen waren der ehemalige Beauftragte für die Nachrichtendienste des Bundes, Klaus-Dieter Fritsche, sowie Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, die auch Gespräche im Kanzleramt führten.
Pikant: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte auf einer China-Reise im September 2019 eine geplante Übernahme des chinesischen Unternehmens AllScore Financial durch Wirecard angesprochen. Merkel habe zum Zeitpunkt der Reise "keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard" gehabt, sagte ein Sprecher dazu.
Das Kanzleramt war am Mittwoch bei der Sondersitzung des Finanzausschusses nicht vertreten - weswegen weitere Sitzungen auch in der Sommerpause wahrscheinlich sind. Und auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss könnte kommen; dieser hätte Akteneinsicht und könnte Zeugen vernehmen. Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses muss im Bundestag ein Viertel der Abgeordneten stimmen. FDP, Grüne und Linke würden zusammen das Quorum erreichen.
Die Grünen aber zögern noch. Denn wie viel ein U-Ausschuss angesichts des knappen Zeitplans aufklären könnte, ist ohnehin ungewiss. Die Arbeit könnte er möglicherweise erst im November aufnehmen - und das Ende der Legislaturperiode im Herbst 2021 naht. Er könnte allerdings dafür sorgen, den potenziellen SPD-Kanzlerkandidaten Scholz in den Negativ-Schlagzeilen zu halten.
Unter Druck gerät im Fall Wirecard unterdessen zunehmend der Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Felix Hufeld. Einem Bericht des "Spiegels" zufolge machte Hufeld in einer Sitzung des Finanzausschusses Anfang Juli wahrheitswidrige Behauptungen; dabei geht es um Verbindungen im Fall Wirecard mit Singapur. Die Bafin wies den Vorwurf zurück - räumte aber ein, einige Aussagen Hufelds seien "unpräzise" gewesen.