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Der verzwickte Streit über den Corona-Milliardenplan

750 Milliarden Euro will die EU-Kommission gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise mobilisieren. Ein gewaltiger Plan - mit erheblichem Streitpotenzial in der Europäischen Union.

Brüssel (dpa) - Es ist eine beispiellose, eine historische Krise - darüber zumindest scheinen die 27 EU-Staaten einig zu sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel nennt die Corona-Pandemie und ihre Folgen die größte Herausforderung in der Geschichte der Europäischen Union.

Massenarbeitslosigkeit, Pleitewellen, soziales Elend, eine Spaltung der EU, all das scheint nicht ausgeschlossen. Die Staatengemeinschaft will eine gemeinsame Antwort, doch da ist es mit der Einigkeit rasch vorbei. Heute beraten Merkel und ihre EU-Kollegen bei einem Videogipfel erstmals über den Milliardenplan, mit dem die EU-Kommission die europäische Wirtschaft wieder beleben und gleichzeitig modernisieren will. Aber wie die 27 in absehbarer Zeit zu einer einstimmigen Entscheidung kommen wollen, ist völlig unklar. Die Ausgangslage sieht aus wie ein Tausend-Teile-Puzzle, das jemand großzügig über den Wohnzimmerteppich verteilt hat.

Worüber wird verhandelt?

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte Ende Mai ein Paket mit zwei Elementen vorgeschlagen: Gegen die Krise soll ein 750-Milliarden-Euro-Programm namens "Next Generation EU" helfen, das über Kredite finanziert werden soll. Dieser Wiederaufbauplan soll in den nächsten EU-Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 eingebettet werden, der ebenfalls noch nicht steht. Dafür schlägt von der Leyen einen Umfang von 1,1 Billionen Euro vor. Insgesamt geht es also um 1,85 Billionen Euro für die nächsten Jahre.

Wie soll das Geld verteilt werden?

Die Kommission will 500 Milliarden Euro als Zuschüsse an die Mitgliedsstaaten geben - das heißt, die Empfänger müssten dieses Geld nicht zurückzahlen. Weitere 250 Milliarden Euro sollen als Kredite vergeben werden können. Für den Großteil des Geldes hat die Kommission einen Verteilschlüssel mit dem Ziel erarbeitet, die von der Pandemie am schlimmsten getroffenen Staaten am meisten zu unterstützen. So sind allein 173 Milliarden Euro Zuschüsse und Kredite für Italien und 140 Milliarden Euro für Spanien vorgesehen. Deutschland käme auf 28,8 Milliarden Euro, ausschließlich Zuschüsse, Frankreich auf knapp 39 Milliarden Euro.

Sind Auflagen geplant?

Ja. Um das Geld müssen sich die Staaten nach Vorstellungen der Kommission mit konkreten Plänen bewerben. Zudem sollen die Empfänger zusagen, sich an wirtschaftspolitische Empfehlungen der Kommission zu halten. Und das Geld soll so eingesetzt werden, dass übergeordnete EU-Ziele erreicht werden, nämlich Klimaschutz, Digitalisierung und die Modernisierung der Wirtschaft.

Worüber wird gestritten?

Über alle zentralen Punkte. Einige Mitgliedsstaaten haben nach Angaben aus EU-Kreisen immer noch ein Problem mit von der Leyens Grundidee, als Kredit aufgenommenes Geld als Zuschüsse zu verteilen. Denn das bedeutet, dass die 27 Staaten die Schulden gemeinsam über Jahrzehnte tilgen müssen. Zudem geht es um den Umfang des Wiederaufbauplans, um den Verteilschlüssel und die Bedingungen, die die Empfänger erfüllen müssen.

Einige Mitgliedsländer wollen, dass das Geld schneller fließt als geplant - nicht mit jahrelangem Vorlauf, sondern in der akuten Krise. Andere pochen darauf, dass die Rückzahlung der Schulden schneller beginnt als von der Kommission vorgeschlagen, nicht erst ab 2028 und bis 2058. Soweit zu dem 750-Milliarden-Plan, der für die EU etwas völlig Neues wäre. Hinzu kommen die üblichen Streitpunkte beim normalen Haushaltsrahmen, nämlich Umfang, Verteilung der Gelder und Beitragsrabatte.

Wer will was?

EU-Beamte betonen, kein Staat habe den Plan rundweg vom Tisch gewischt, was schon mal positiv sei. Die große Mehrheit der 27 könne mit dem Grundkonzept leben und habe nur Bedenken bei einzelnen Punkten. Ein klarer Einspruch gegen die Verteilung von Zuschüssen kam jedoch von den "vier Sparsamen", nämlich Österreich, Schweden, Dänemark und den Niederlanden. Finnland hat ebenfalls ernste Bedenken, ebenso Ungarn. Wie strikt die Ablehnung ist und ob man sie überwinden kann, werde sich beim Videogipfel weisen, hieß es am Donnerstag. Klar ist: Am Ende müssen alle 27 einer Lösung zustimmen, jeder hat ein Vetorecht.

Wie ist die deutsche Position?

Bundeskanzlerin Merkel hatte schon vor der Kommission gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen eigenen Wiederaufbauplan im Umfang von 500 Milliarden Euro vorgelegt. Das Geld sollte ebenfalls über Schulden finanziert und ebenfalls als Zuschüsse verteilt werden. Das Grundprinzip des Kommissionsvorschlags hat Deutschland also akzeptiert. Öffentlich in Frage stellt Finanzminister Olaf Scholz den Umfang der Brüsseler Pläne: Er pocht auf eine Summe von 500 Milliarden statt 750 Milliarden Euro.

Welche Kosten kommen auf Deutschland zu?

Bei einer Summe von gemeinsam zu tilgenden Schulden von 500 Milliarden Euro wird der deutsche Anteil bei der Tilgung auf etwa 135 Milliarden Euro geschätzt. Grundlage der Berechnung ist der künftige deutsche Anteil am EU-Haushalt. Er dürfte im kommenden Jahr von rund 21 auf etwa 25 Prozent steigen. Hauptgrund dafür ist der Wegfall des Beitragszahlers Großbritannien nach dem Brexit.

Die Bundesregierung hat ausgerechnet, dass die jährlichen Zahlungen aus Berlin an Brüssel bei einer Umsetzung des Kommissionsvorschlags um 46 Prozent steigen könnten - ein Plus von 13 Milliarden auf 41 Milliarden Euro brutto - also abzüglich dessen, was an EU-Geldern nach Deutschland zurückfließt.

Wie schnell wird es einen Kompromiss geben?

Merkel hofft auf eine Einigung noch im Juli, aber das ist alles andere als sicher. Nach dem Videogipfel am Freitag plant EU-Ratschef Charles Michel für Anfang oder Mitte Juli ein persönliches Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Ob dann schon ein Durchbruch gelingt, weiß niemand.